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Gestern beim Frühstück hatte ich mit einigen meiner Kommilitonen eine interessante Unterhaltung über den Sinn und
Unsinn von Patenten. Ich finde solche Diskussionen sehr gut, da man seine Gedanken untereinander austauschen kann.
Zudem bin ich auch einfach froh, Leute gefunden zu haben, mit denen man überhaupt länger über sowas reden kann.
Ich war allerdings etwas erstaunt, wie wenig kritisch meine Kommilitonen Patenten gegenüber eingestellt sind. Vielleicht
liegt es daran, dass man sich mit solchen Themen nicht einfach so mal genauer befasst, sie einen selten direkt betreffen
oder sie auch einfach andere Erfahrungen mit Patenten gemacht haben als ich (genau deshalb finde ich es gut und
wichtig, über sowas zu reden). Jedoch ist mir mal wieder aufgefallen, dass es mir in letzter Zeit einfach nicht mehr gelingt,
meine Gedanken verständlich und nachvollziehbar zu äußern. Möglicher weise sind meine Gedanken einfach komplizierter
geworden sind, weil alles eigentlich mit allem irgendwie verwoben ist und alles beeinflusst. Anscheinend habe ich bei
meinen Kommentaren zu viele geistige Schritte übersprungen, denn ich hatte das Gefühl, dass bei meinen Gesprächspartnern
eigentlich nicht das ankam, das ich sagen wollte. Diese Erfahrung war ein Anreiz, meine Gedanken zum Thema Patente
etwas zu ordnen und mir zu überlegen, wie ich diese möglichst nachvollziehbar erklären kann.
Ein Versuch
Anfangen kann man indem man sich folgendes überlegt: Was muss ich alles erledigen, wenn ich etwas entwickeln will,
dass viele Menschen verwenden können (z.B. ein Auto). Bei diesem Gedanken bin ich grob auf folgende Schritte gekommen:
- Grundlagenforschung: Erstmal überlegen, welche Technologien es bereits gibt und welche man verwenden kann.
Je nach Gebiet bzw. Industrie muss man auch erst mal eine neue Technologie erforschen oder bestehende aufwändig
kombinieren.
- Produktforschung: Wie können Menschen diese Technologie sinnvoll nutzen? Nur mit meinem Verbrennungsmotor
könnte ich nicht viel anfangen. Ich bräuchte schon ein bedienbares Auto um eine größere Stecke zu fahren… und das
besteht aus mehr als nur einem Motor.
- Produkt entwickeln: Alle Technologien in ein fertiges, bedienbares und zuverlässiges Produkt zusammen führen.
- Produkt vermarkten: Die Menschen müssen erst mal wissen, dass es eine Technologie gibt, bevor sie diese verwenden
können. Zudem sollte man auch aufklären, wo die Vor- und Nachteile der Technologie liegen (z.B. dass man mit einem
Auto gut große Distanzen überwinden kann, aber es Treibstoff braucht und Unfälle fatal sein können).
Geld …
All diese Schritte kosten erst mal sehr viel Geld und Zeit. Entwickelt nun eine Firma ein Produkt, so hat sie bis zu diesen
Zeitpunkt nur Geld ausgegeben und noch nichts dabei verdient. Damit wirtschaftlich orientierte Firmen nun aber motiviert
werden, so etwas zu machen, muss es eine Möglichkeit geben, zumindest die Ausgaben wieder durch Einnahmen zu decken.
Hier kommen Patente ins Spiel. Möchte jemand anderes auf dieser Entwicklung aufbauen, soll er sich über Lizenzkosten an
den Kosten für all die Forschung und den Aufwand beteiligen. Das ist durchaus fair und nachvollziehbar. Allerdings birgt das
wie alles im Leben einige Risiken und Nebenwirkungen.
Sind z.B. die Lizenzkosten zu hoch, kann es passieren, dass andere Firmen die Technologie nicht nutzen können. Dadruch
verbreitet sich die Technologie möglicher weise nicht genug und geht mit der Zeit einfach wieder unter. Auch wenn sie
wichtige Probleme vieler Menschen gelöst hätte.
Ein weiteres Risiko besteht in der "wer zuerst kommt, mahlt zuerst" Verteilung von Patenten. Wenn zwei Personen, Teams
oder Firmen zur gleichen Zeit eine Technologie entwickeln, kann nur der seine Kosten decken, der als erster das Patent
anmeldet. Das mit "Pech gehabt" abzutun währe etwas hart, denn evt. hat die langsamere Seite mehr Wert auf Sicherheit,
Zuverlässigkeit und gute Qualität gelegt. Hier ist das Ergebnis (das schlechtere Produkt bekommt den Vorteil) zum Nachteil
der Menschen. Zudem hat dieses Risiko dafür gesorgt, dass Patente schon früh oder auf Verdacht angemeldet werden,
auch wenn keine ernsthafte Forschungs- oder Nutzungsabsicht dahinter steht. In dem Fall ist die Technologie für Andere
mit ernsthaften Absichten blockiert. Ein Beispiel hierfür war ein Konflikt zwischen id Software und Creative Labs eine Woche
vor der Veröffentlichung von dem Computerspiel Doom 3 (siehe Carmack's Reverse und die Links bei Regarding
depth-fail patents).
Ich habe auch manchmal die Beobachtung gemacht, dass sich Firmen nach ihrem Entwicklungsaufwand ausruhen. Das
ist sicher nicht falsch, solange man andere, die weiter entwickeln wollen, nicht blockiert. Hier fallen mir z.B. Praktiken von
Firmen wie Microsoft ein, die unter anderem Patente benutzen um die Konkurrenz davon abzuhalten, bessere Software
auf den Markt zu bringen. Wie solche Firmen den Aufwand und die Ideen Anderer würdigen ist auch kein Geheimnis.
… oder etwas anderes
Das ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, wie die Dinge nach einer aufwendigen Entwicklungsphase weiter gehen können.
Wenn es darauf ankommt, möglichst schnell und effektiv Probleme zu lösen, ist der Weg über Patente vielleicht nicht der
Richtige. Dazu ein (unbestätigtes) Beispiel: Man sucht eine Technologie um verseuchtes Wasser in der 3. Welt mit möglichst
einfachen Mitteln zu reinigen. Diese Suche kann aufwändig und kostspielig sein. Hat man eine einfache Möglichkeit gefunden
(z.B. Wasser mehrere Stunden in transparenten PVC-Flaschen in der Sonne liegen lassen) ist man in erster Linie daran
interessiert, diese "Technologie" so schnell wie möglich zur Anwendung zu bringen. Das Problem soll beseitigt werden und
die Technologie ist nur das Mittel zum Zweck.
Würde man hier ein Patent anmelden könnte man von allen, die diese Technologie einsetzen Lizenzgebühren verlangen. Damit
währe es aber wieder für Leute in der 3. Welt nicht erschwinglich und man hätte sein Problem nicht gelöst. Das währe z.B.
ein Fall, bei dem das System der Patente zwar anwendbar, aber nicht sinnvoll oder erwünscht ist.
Hier besteht die Belohnung bzw. Entschädigung für den Aufwand und die Kosten der Entwicklung nicht aus wirtschaftlichem
Gewinn sondern aus ideellen Werten. Man hat vielleicht das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben oder jemanden geholfen zu
haben. Evt. ist es auch Belohnung genug, etwas in einem größeren Bild zum besseren verändert zu haben.
Das mag sich jetzt etwas banal oder weltfremd anhören, allerdings nur, weil man es im Zusammenhang mit Entwicklung
oder Technologie selten kennt. In anderen Bereichen treiben solche Wertevorstellungen und Motivationen z.B. ehrenamtliche
Helfer an. Wichtige Teile der Gesellschaft währen ohne diese Motivation bereits längst kollabiert (z.B. das Gesundheitssystem),
da eine wirtschaftliche Denkweise hier nicht unbedingt zu gewünschten oder akzeptablen Zuständen führt.
Software
Der obere Gedanke ist zwar universell für viele Bereiche der Entwicklung (Raumfahrt, Mechanik, Medizin, usw.), aber jeder
Bereich hat so seine Besonderheiten. Als Programmierer interessiert mich persönlich natürlich die Entwicklung von Software,
also gehe ich hier auf diesen Gedanken etwas weiter ein. Dafür hab ich mir zunächst einmal überlegt, wie die
Entwicklungsschritte bei Software aussehen könnten:
- Grundlagenforschung: Entwicklung von Algorithmen, Datenformaten (z.B. für Video) oder anderen benötigten Systemen
(z.B. DRM bzw. Digital Rights Management).
- Produktforschung: Welche Probleme hat ein Benutzer und wie sollte die Software aussehen, die diese Probleme löst?
- Produkt entwickeln: Konzeption, Programmierung, Testen, usw.
- Produkt vermarkten: Bekanntmachen der Software und aufzeigen, warum sie die entsprechenden Probleme gut löst.
Zudem die Verteilung der Software an die Nutzer.
Nach all diesen Schritten kann eine Firma schließlich die Software bzw. die Nutzungsrechte an der Software (Lizenzen)
verkaufen. Zudem könnte sie Patente für entwickelte Technologien anmelden, beispielsweise für einen guten Algorithmus
zur Datenkompression. Es ist auch hier fair, dass die Firma den Aufwand in irgendeiner Form wieder hereinwirtschaften
kann.
Allerdings gibt es hier Besonderheiten, die die Situation etwas ungewöhnlicher machen. Wie aufwändig ist die
Entwicklung von Software?
- Man braucht die Hardware, auf der die Software laufen soll. Meist reicht hierfür ein PC, der nicht mehr als ein paar
hundert Euro kostet. Es werden keine großen Labore benötigt, genauso wenig wie teure Maschinen.
- Zu diesen anfänglichen Kosten kommen dann vereinfacht gesehen noch die Lebenshaltungskosten hinzu und man
kann theoretisch unbegrenzt Software entwickeln.
- Da die Verteilung von Software über das Internet geschehen kann, fallen hierfür auch nicht zwangsläufig weiteren
Kosten an. Beispiel hierfür sind z.B. die Paket-Systeme diverser Linux-Distributionen.
Das ist eine drastisch andere Situation als in Bereichen, in denen jahrelange, aufwendige und teure Forschung oder
sehr aufwendige Ausrüstung nötig ist (z.B. Medizin oder Maschinenbau). Diese geringen Kosten haben dazu geführt,
dass viel Privatpersonen Software entwickeln. Nicht aus wirtschaftlichem Interesse, sondern auf Grund ihrer ideellen
Werte und Motivation. Sie erhalten dadurch kein Geld, aber dafür Spaß, Erfahrung, Verantwortung und
Selbstverwirklichung.
Durch diese besonderen Bedingungen teilen sich nun das wirtschaftlich orientierte Entwicklungssystem und private
Entwicklungen den gleichen Bereich. Im wirtschaftlich orientierten System nutzt man Patente um für wirtschaftliche
Fairness zu sorgen, bei privaten Entwicklungen sorgen spezielle Lizenzen dafür, dass ideelle Werte (z.B. Name des
Autors, Anerkennung) geschützt werden (z.B. Creative Commons Lizenz, GNU General Public License
oder die MIT Lizenz.
Zwei Fische in einem Teich
Man kann glaube ich bereits ahnen, dass diese Situation etwas Konfliktpotential birgt. Auf der einen Seite
wirtschaftliche Entwicklungen, in deren Verlauf Grundtechnologien und Ideen patentiert werden. Auf der anderen
Seite Unmengen von "Hobbyentwicklern", die ihre Ideen und Entwicklungen wie Kochrezepte frei untereinander
austauschen, verändern und weiterentwickeln. Natürlich ist die Welt auch hier nicht nur schwarz-weiß und es gibt
viele Mischformen (z.B. Firmen, die von "Hobbyentwicklern" gegründet wurden), aber ein Problem besteht: was
passiert, wenn das Patent für eine Idee angemeldet wird?
Durch die hohe Anzahl an "Hobbyentwicklern" ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Idee schon einige Leute
hatten. Waren diese einfach nur "dumm", weil sie für ihre Idee kein Patent angemeldet haben? Wohl kaum, denn
warum sollten sie das überhaupt? Als "Hobbyentwickler" hat man nicht unbedingt Interesse daran, aus seinen Ideen
wirtschaftlichen Profit zu ziehen, denn die treibende Motivation ist eine ganz andere: Anerkennung, Spaß, Erfahrung,
das Gefühl etwas gut gemacht zu haben, usw.
Nun währen durch das bestehende Patent aber sämtliche "Hobbyentwickler" gezwungen, Gebühren für etwas zu
zahlen, von desen Entwicklung sie nicht profitieren, auf dem sie nicht aufbauen. Entweder wurden diese Probleme
längst auf eigene Weise gelöst oder man löst sie eh anders (ja, man erfindet das Rad immer wieder neue, weil es
Spaß macht). Noch verzwickter wird die Lage, wenn man nicht weiß, dass eine Idee bereits patentiert ist. Man stelle
sich dazu ein Beispiel vor:
Man entwickelt ein Programm zum hören von Hörbüchern und dazu noch ein passendes Dateiformat für Hörbücher
um auf der Festplatte für Ordnung zu sorgen. Man ist stolz auf sich, weil man einige Probleme gut gelöst hat (Ordnung
auf der Festplatte, nie mehr aufschreiben, wo man aufgehört hat zu "lesen", usw.). Zudem hat es Spaß gemacht und
man hat Erfahrung gesammelt. Man hatte ein Problem und hat es ohne großen finanziellen Aufwand gelöst. Andere
Leute finden das Programm auch gut und dadurch verbreitet es sich im Internet. Nun hatte ein Firma mit findiger
Rechtsabteilung allerdings schon die Idee, ein Hörbuch in einer Datei zu speichern, und hat vorsorglich dafür das Patent
angemeldet. Darauf hin wird man verklagt, weil man dieses Patent verletzt, also die Idee genutzt hat, ohne Geld dafür
zu bezahlen. Für einen "Hobbyentwickler" kann sich sowas durchaus zu einer ernsthaften Existenzbedrohung entwickeln.
Alles nur, weil man ein Problem gut gelöst hat und anderen Menschen damit geholfen hat.
Dabei werden Patente in diesem Szenario nicht mal in ihrem Sinne eingesetzt. Weder war der wirtschaftliche Aufwand
für die Entwicklung der patentierten "Technologie" groß, noch hat der "Hobbyentwickler" von diesem Aufwand profitiert.
Das Patent hat hier also nicht die wirtschaftliche Fairness sicher gestellt, sondern wurde einfach nur für wirtschaftliche
Ziele missbraucht: Geld oder Marktbeherrschung.
Was jetzt?
Persönlich richte ich mich nach folgendem: Jedes Werkzeug wurde aus einem bestimmten Zweck und mit einem bestimmten
Sinn erschaffen. Deshalb sollte man es in erster Linie in diesem Sinne einsetzen und diesen Sinn auch achten. Diese Logik
wende ich auf viele Dinge im Leben an und so auch auf Patente. Daher vertrete ich die Meinung, dass man sie nur einsetzen
sollte, um die wirtschaftliche Fairness zu garantieren.
Nun ist die Wirtschaft selbst aber auch nur ein Werkzeug, das entwickelt wurde, um der Menschheit zu dienen und das
Zusammenleben großer Gruppen möglichst gerecht und ohne Blutvergießen zu ermöglichen. Das funktioniert zwar oft
recht gut, aber die wirtschaftliche Denkweise passt nun mal nicht zu allen Situationen oder Tätigkeiten im Leben. Wenn
sich ein System entwickelt hat, dass auf ideellen Werten basiert (wie z.B. die Umgebung der "Hobbyentwickler"), dann
ist das finde ich ein gutes Zeichen. Menschen haben sich so entwickelt, dass ihre wirtschaftlichen Interessen nicht mehr
ihr kleinster gemeinsamer Nenner sind. Sie können auch anders zusammen leben, Probleme lösen und die Menschheit
weiter voran bringen. Denn wenn sich Menschen mit gegenseitiger Achtung und Respekt entgegentreten ist das meiner
Meinung nach auf jeden Fall der Währung des Geldes vorzuziehen. Das funktioniert sicher nicht immer und jeder, der der
Geschichte und Entwicklung der Menschheit etwas Interesse entgegen bringt, weiß das hoffentlich (z.B. kalter Krieg).
Wenn es allerdings in speziellen Bereichen funktioniert, sollte man es respektieren.
Ich bin ehrlich gesagt manchmal enttäuscht darüber, dass Personen nicht mehr außerhalb des wirtschaftlichen Systems
denken können oder das zumindest nicht zu erkennen geben. Letzten Endes geht es im Leben ja nicht um Profit oder Geld,
sondern vor allem um eines: Menschen.
Schlusswort
Das alles sind ein paar meiner Gedanken zu einem Thema, das speziell für Programmierer etwas heikel ist. Wenn jemand
denkt, dass das alles nur totaler Schwachsinn ist und ich keine Ahnung von der Welt habe, ist das ok. Es gibt so viele
Meinungen zu diesem Thema, wie es Menschen gibt. Schön währe es aber, wenn du dann schreiben könntest, warum
und wo meine Gedanken in die falsche Richtung driften. Ich habe nur ein paar Jahre Erfahrung und kann nur aus diesen
Erfahrungen schöpfen. Zudem ist das hier keine wissenschaftliche Arbeit und auch wenn ich mir Mühe gegeben haben,
Situationen objektiv darzustellen, sind es einfach nur Gedanken.
Falls es doch jemand bis hier her geschafft hat und ich jemanden zum Denken angeregt hab: Hut ab, ich weiß nicht, ob
ich mich selbst solange ertragen hätte. Ich habe ein paar Gedanken der Übersichtlichkeit halber weg gelassen, aber
wenn es jemanden interessiert lohne es sich vielleicht, darüber nachzudenken:
- Welche Auswirkungen haben Patente in der Medizin?
- Wann sind ideelle und wann materielle (wirtschaftliche) Werte wichtiger?
- Wie beeinflussen Patente den Fortschritt der Menschheit als Ganzes?